Die jüngste Auswertung des Fachkräftemonitors NRW hat ergeben, dass bei uns rund 350.000 Fachkräfte fehlen¹. Für unsere Wirtschaft und Gesellschaft ist das eine große Belastung: Überall dort, wo es nicht genügend Fachkräfte gibt, kann weniger produziert und weniger Dienstleistung erbracht werden.
Es ist daher allerhöchste Zeit, das Thema Fachkräftelücke strategisch anzugehen. Diskussionen über längere Arbeitszeiten und ein höheres Renteneinstiegsalter bringen uns dabei allerdings nicht weiter. Vielmehr müssen wir die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland erleichtern, wie es die Bundesregierung derzeit plant. Darüber hinaus gibt es
in Nordrhein-Westfalen ein großes inländisches Fachkräftepotenzial, das gehoben und aktiviert werden muss. Hier müssen Politik und Unternehmen dringend ihre Hausaufgaben machen. Viele Menschen in NRW warten darauf, endlich eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen und diese sollten wir ihnen geben!
Damit dies gelingt, schlägt der DGB NRW folgende Maßnahmen vor:
Das größte Potenzial im Kampf gegen den Fachkräftemangel liegt bei den jungen Menschen. Derzeit hat fast jeder fünfte junge Erwachsene in NRW keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das bedeutet meist lebenslange Hilfstätigkeiten oder Langzeitarbeitslosigkeit. Um das zu ändern, muss Politik bereits an den Schulen ansetzen und dafür sorgen, dass alle Jugendlichen einen Schulabschluss bekommen. Das gelingt über längeres gemeinsames Lernen und ein auf Chancengleichheit ausgerichtetes Schulsystem, das auskömmlich finanziert ist. Mit einer umlagefinanzierten Ausbildungsgarantie muss dann sichergestellt werden, dass jeder junge Mensch, der einen Ausbildungsplatz sucht, auch einen bekommt.
In vielen Bereichen fehlen Fachkräfte aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen und niedriger Löhne. Um diese Berufe attraktiver zu machen, muss sachgrundlose Befristung abgeschafft und Minijobs zurückgedrängt werden. Zudem gilt es, die Tarifbindung zu erhöhen. Das gelingt u.a. durch eine Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung, Einschränkungen von OT-Mitgliedschaften für Arbeitgeber und Tariftreuegesetze auf Bundes- und Länderebene. In NRW hat die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag Regelungen für mehr Tariftreue angekündigt. Wir machen Druck, damit diese auch schnellstmöglich eingeführt werden! Aber auch bereits bestehende tarifpolitische Instrumente, z.B. zur Förderung von Ausbildung und Ausbildungsfähigkeit, müssen stärker genutzt werden.
In vielen Betrieben wird das Thema Weiterbildung noch stiefmütterlich behandelt. Hier muss es ein Umdenken geben. Und auch die Politik kann einiges tun. Mit der von der Bundesregierung angekündigten Bildungsteilzeit könnten Beschäftigte ihre Arbeitszeit sozial abgesichert reduzieren, um sich neben dem Beruf weiterzubilden. Im Falle von Arbeitslosigkeit muss Weiterbildung eine höhere Priorität haben als schnelle Vermittlung. Hier ist das geplante Bürgergeld ein wichtiger Schritt. In NRW sind 300.000 Menschen langzeitarbeitslos, sie brauchen eine Chance, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Der soziale Arbeitsmarkt muss daher als Brücke in reguläre Beschäftigung verstetigt und ausgebaut werden. Zudem braucht die öffentlich geförderte Weiterbildung in NRW dringend eine bessere Finanzierung.
Damit Frauen endlich den Anteil am Arbeitsmarkt haben, der ihnen zusteht und ihren oft überdurchschnittlichen Qualifikationen gerecht wird, müssen rechtliche und finanzielle Fehlanreize überwunden werden. Das gilt für die Steuerklasse V und das Ehegattensplitting ebenso wie für Minijobs. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern, müssen Kinderbetreuungs- und Pflegeangebote ausgebaut und verbessert werden. Für Frauen und Männer gilt: Sie brauchen Arbeitszeiten, die zum Leben passen.
Die Potenziale von Beschäftigten zwischen 55 und 67 Jahren und von Menschen mit Behinderungen werden von Arbeitgebern häufig unterschätzt. Das muss sich ändern! Altersgerechte Arbeitszeitmodelle und weitere Instrumente sorgen dafür, dass Beschäftigte im Arbeitsleben lange gesund bleiben und gesundheitlich bedingte Frühverrentungen vermieden werden. Die gesetzliche Abgabe für Unternehmen, die keine oder zu wenig Menschen mit Behinderungen einstellen, muss angehoben werden.
Es braucht deutlich mehr Anstrengungen, um Eingewanderte aus der EU und aus Drittstaaten in unseren Arbeitsmarkt zu integrieren. Qualifikationen müssen unkomplizierter anerkannt, qualifikationsgerechte Beschäftigung vermittelt und Bleibeperspektiven verbessert werden. Für Menschen ohne Grundqualifikation braucht es ein besseres Angebot, um diese zu erlangen. Darüber hinaus müssen Deutschkurse weiter ausgebaut werden.
Die Digitalisierung sollte darauf ausgerichtet werden, Beschäftigte in ihren Tätigkeiten zu unterstützen und zu entlasten. Damit es für die Beschäftigten tatsächlich einen Mehrwert gibt, ist eine Neuausrichtung der Mitbestimmung unabdingbar.
Auch im öffentlichen Dienst in NRW fehlen zehntausende Fachkräfte. Allein in der NRW-Landesverwaltung sind aktuell rund 24.000 Stellen unbesetzt. Ohne eine nachhaltige Attraktivitätssteigerung wird der öffentliche Dienst bereits in wenigen Jahren seine Kernaufgaben nicht mehr wahrnehmen können. Die Landesregierung muss daher dringend ein Handlungskonzept vorlegen, wie der öffentliche Dienst zukunftsfest gemacht werden soll. Wichtige Eckpunkte sind z.B. bessere Bezahlung, bessere Aufstiegschancen und der Abbau der überlangen Wochenarbeitszeit.
¹ Vgl. www.ihk-fachkraefte-nrw.de/fachkraeftemonitor.html#3kROmvD
Der DGB-Bundesvorstand hat ein umfangreiches Positionspapier zum Thema Fachkräftepotenzial herausgegeben.
Hier gibt es das 2-seitige Argumentationspapier "Klipp&Klar" zum Download.