40.000 Saisonarbeitskräfte in NRW – DGB fordert besseren Sozial- und Infektionsschutz. Warnung vor Zuständen wie in der Fleischwirtschaft.
Mit dem Saisonstart in der Landwirtschaft kommen auch in diesem Jahr tausende Erntehelferinnen und Erntehelfer nach NRW. Ende Juni 2020 waren 12.184 von ihnen ohne Kranken-, Arbeitslosen- oder Rentenversicherung auf den Feldern in NRW beschäftigt. Auch in diesem zweiten Corona-Jahr hat die Bundesregierung die eigentlich auf 70 Tage begrenzte Frist, innerhalb der die Erntehelfer*innen sozialversicherungsfrei beschäftigt werden können, ausgeweitet – auf insgesamt 102 Tage und trotz Pandemie.
„Ohne die Saisonbeschäftigten aus Rumänien, Polen oder Bulgarien gibt es kein Spargel, keine Erdbeeren und keinen Wein. Aber in der Landwirtschaft gilt das Credo: Billig müssen die Arbeitskräfte sein“, kritisiert Anja Weber, Vorsitzende des DGB NRW. „Die Bundesregierung ist auch dieses Jahr vor der Landwirtschaftslobby eingeknickt und eröffnet Tür und Tor, um die Sozialversicherungspflicht für vier Monate zu umgehen. Wir lehnen diese missbrauchsanfällige Regelung ab. Sie ist ursprünglich für die Ferienzeit von Schülerinnen und Schülern und Studierenden gedacht. Darauf muss sie auch wieder begrenzt werden“, fordert die Gewerkschafterin.
Die Ausweitung der sozialversicherungsfreien Beschäftigung auf 102 Tage für das Jahr 2021 betrifft aber nicht nur die Landwirtschaft. Im Juni 2020 gab es in NRW insgesamt fast 40.000 Saisonbeschäftigte; neben der Landwirtschaft meist im Bereich der Lagerwirtschaft, Post und Zustellung und in der Gastronomie, die nach dieser Regelung monatelang sozialversicherungsfrei gearbeitet haben – und das zusätzlich zu der Vielzahl an 450-Euro Jobs in diesen Bereichen. Auch hier kommt der Großteil der Beschäftigten aus osteuropäischen EU-Ländern.
Auch in diesem Jahr werden die Unterkünfte wieder überbelegt sein, sind Sanitäreinrichtungen Mangelware und unhygienisch, werden die Hygiene- und Infektionsschutzregeln nicht eingehalten und zu wenig kontrolliert, prognostiziert Weber: „Wegen Corona müssen Schlafräume eigentlich einzeln belegt werden. Aber auch da lässt die Bundesregierung Schlupflöcher: Wenn eine Einzelbelegung nicht möglich ist, dann darf mit einer halbierten Belegungsdichte einfach weitergearbeitet werden. Beschäftigte müssten nachts in einem Doppel- oder Vierbettzimmer schlafen, ohne zu wissen, ob ihre Kolleginnen sie vielleicht anstecken. Wenn wir hier vor Ort nicht bald Zustände haben wollen wie in der Fleischwirtschaft, dann brauchen die Beschäftigten besseren Schutz. Zumindest für die Dauer der Pandemie muss eine zwingende Unterbringung in Einzelzimmern gelten.“
Der DGB fordert Sozialversicherungsschutz ab dem ersten Tag der Beschäftigung, einen schlagkräftigen Arbeits- und Infektionsschutz und das Ende von Mindestlohnbetrug, miesen und überteuerten Unterkünften und Missbrauch. „Wenn die Zustände weiter menschenunwürdig bleiben, dann finden wir bald niemanden mehr, den auf deutschen Feldern arbeiten will. Schon jetzt werben die Betriebe vermehrt in Drittstaaten wie Moldau oder Georgien an“, gibt Weber zu bedenken. Sie fordert, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber an der Verhandlungstisch mit der zuständigen Branchengewerkschaft IG BAU kommen: „Wir brauchen einen Flächentarifvertrag, in dem die Rechte der Beschäftigten verbindlich abgesichert sind.“