Um die Qualität der Ausbildung in NRW zu bewerten, befragt die DGB-Jugend regelmäßig Auszubildende aus den 25 häufigsten Ausbildungsberufen. Für diesen Report haben zwischen September 2023 und Mai 2024 insgesamt 2.075 Auszubildende aus Nordrhein-Westfalen an der Befragung teilgenommen. Dabei stellen wir Fragen in vier Kategorien: Zur fachlichen Qualität der Ausbildung im Betrieb und am Berufskolleg, zu den Ausbildungszeiten und Überstunden, zur Ausbildungsvergütung, und zur persönlichen Bewertung der Ausbildung (Grafik S. 59). Damit gibt unser Report einen guten Überblick über die Ausbildungssituation in NRW. Er zeigt auf, was gut läuft, legt aber auch Mängel offen.
Fachliche Qualität der Ausbildung
Wenn wir uns zunächst mit der Frage nach der fachlichen Qualität der Ausbildung (S. 25ff) beschäftigen, zeigt sich, dass knapp sieben von zehn der befragten Auszubildenden aus Nordrhein-Westfalen (69 Prozent) die fachliche Qualität der Ausbildung in ihrem Betrieb als „gut“ oder „sehr gut“ empfinden. Damit liegen die Betriebe vor den Berufskollegs: Hier sind es nur 53 Prozent der Schüler*innen, die der fachlichen Qualität des Unterrichts am Berufskolleg ein „Gut“ oder „Sehr gut“ geben. Das hängt vor allem mit der personellen und materiellen Ausstattung der Berufskollegs zusammen. Als Gewerkschaftsjugend kritisieren wir schon lange, dass dieser Bereich des Schulsystems chronisch unterfinanziert ist. Es gibt in NRW sehr gut ausgestattete Berufskollegs – diese sollten für die Politik die Referenz sein und nicht die Ausnahme bleiben.
Aber auch bei den Betrieben ist nicht alles eitel Sonnenschein. Dass fast neun Prozent der Befragten nur ein „Ausreichend“ oder „Mangelhaft“ vergeben, zeigt, dass es auch hier zum Teil erheblichen Verbesserungsbedarf bei der fachlichen Qualität gibt. Zum Beispiel liegt bei vier von zehn der befragten Auszubildenden (40,5 Prozent) kein betrieblicher Ausbildungsplan vor – obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Azubis haben keine Möglichkeit zu überprüfen, ob ihnen alle Inhalte vermittelt werden, die zum Erreichen des Ausbildungsziels notwendig sind. Zum dritten Mal in Folge angestiegen sind die sogenannten „Ausbildungsfremden Tätigkeiten“. 17 Prozent der Auszubildenden in NRW müssen regelmäßig fachfremde Tätigkeiten verrichten, die eigentlich nichts mit ihrer Ausbildung zu tun haben.
Die Bewertungen zur fachlichen Qualität in der Ausbildung im Betrieb gehen zwischen den einzelnen Berufen weit auseinander. Die angehenden Mechatroniker*innen bewerten sie am besten, es folgen Bankkaufleute und Industriemechaniker*innen. Im Schlussdrittel mit den schlechteren Bewertungen befinden sich beispielsweise Hotelkaufleute, Friseur*innen, Maler*innen und Lackierer*innen. Das Schlusslicht bilden in diesem Jahr erstmals die Anlagenmechaniker*innen.
Arbeitszeiten und Überstunden
Deutlich Luft nach oben gibt es zum Teil nicht nur bei der fachlichen Qualität, sondern auch bei den Arbeitszeiten (S. 33ff). So müssen vier von zehn Azubis (41 Prozent) nach eigenen Angaben regelmäßig Überstunden machen. Nachdem dieser Anteil in den letzten Befragungen kontinuierlich auf zuletzt 34 Prozent zurückgegangen war, ist dies nun ein Anstieg um fast sieben Prozentpunkte auf einen neuen Höchstwert. Unter den Befragten, die angaben, Überstunden leisten zu müssen, liegt die durchschnittliche Anzahl der Überstunden bei vier Stunden pro Woche. Besonders belastet sind angehende Köch*innen sowie Hotelfachleute mit durchschnittlich 7,2 bzw. 5,6 Überstunden wöchentlich. Übrigens: Rund zehn Prozent der Azubis gibt an, keinen Ausgleich für die geleisteten Überstunden zu bekommen.
Ausbildungsvergütung
Selbstverständlich haben wir auch nach der Ausbildungsvergütung gefragt (S. 40ff). In NRW beträgt die durchschnittliche Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr 919 Euro im Monat. Und auch hier gibt es erhebliche Differenzen: So verdienen beispielsweise die in Nordrhein-Westfalen befragten angehenden Hotelfachleute im ersten Ausbildungsjahr mit 1.087 Euro über 470 Euro mehr als die angehenden Friseur*innen. Das zeigt, dass die Ausbildungsvergütung zwar eine Rolle in der Bewertung der eigenen Ausbildung spielt, aber eben auch nur einer von vielen Faktoren ist. Im Gesamtranking unserer Befragung schneiden die Hotelfachleute nämlich nur wenig besser ab als die Friseur*innen.
Persönliche Beurteilung der Ausbildungsqualität
Die vierte Kategorie unseres Ausbildungsreportes heißt „Persönliche Beurteilungen der Ausbildungsqualität“ (S. 42ff). Hier geht es um die weichen Faktoren: Fühlen sich die Azubis korrekt durch die Ausbilder*innen behandelt? Empfinden sie ihre Ausbildung als über- bzw. unterfordernd? Wollen sie nach der Ausbildung in dem Beruf weiterhin arbeiten? Und sind sie insgesamt zufrieden mit ihrer Ausbildung? Das Ergebnis zeigt: Wie in den letzten Jahren waren knapp 70 Prozent der befragten Auszubildenden aus Nordrhein-Westfalen mit ihrer Ausbildung insgesamt „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“. Ein Viertel gab an, mit der Ausbildung „teilweise zufrieden“ zu sein, rund sechs Prozent äußerten sich „eher unzufrieden“ oder „sehr unzufrieden“. Dabei ist wenig überraschend: Zwischen der persönlichen Zufriedenheit der Azubis und der Gesamtbewertung der Ausbildung besteht eine deutliche Korrelation. Es hängt also in hohem Maße von der fachlichen Qualität und den strukturellen Rahmenbedingungen der Ausbildung ab, ob die Azubis insgesamt zufrieden sind.
Ein weiterer Faktor, der die Ausbildungszufriedenheit positiv beeinflusst, ist die Mitbestimmung (S. 46). Azubis, die auf die Unterstützung einer Jugend- und Auszubildendenvertretung zurückgreifen können, sind deutlich zufriedener. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig verbindliche Teilhabe ist. Und auch die Frage, ob Jugendliche ihren Wunschberuf erlernen, spielt eine zentrale Rolle (S. 50). Vor diesem Hintergrund ist es besorgniserregend, dass knapp drei von zehn Befragten eine Ausbildung in einem Beruf absolvieren, der eigentlich nicht geplant war oder ihren Ausbildungsberuf sogar als „Notlösung“ erachten. Bei diesen Auszubildenden ist die Gefahr deutlich höher, dass sie ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen. Das zeigt: Wir brauchen in allen Regionen Nordrhein-Westfalens ein auswahlfähiges Angebot an Ausbildungsplätzen, damit jeder junge Mensch eine Berufsausbildung finden kann, die zu seinen Interessen und Begabungen passt. Zudem muss die Berufsorientierung an den Schulen einen noch stärkeren Fokus auf die Wünsche und Stärken der Schüler*innen legen.
Gesamtbewertung
Die Antworten der Azubis auf diese und viele weitere Fragen ergeben nun die Gesamtbewertung, Sie finden sie auf Seite 7 des Ausbildungsreportes. Hier zeigt sich, welche Berufe in NRW insgesamt gute Ausbildungsbedingungen bieten, welche sich im Mittelfeld befinden und welche große Defizite aufweisen. Voraussetzung für ein gutes Abschneiden in unserem Ranking ist eine durchgängig gute Bewertung in allen vier Hauptkategorien.
In der Spitzengruppe der am besten bewerteten Ausbildungsberufe in Nordrhein-Westfalen sind – wie bereits im letzten Regionalreport von 2023 – die angehenden Bankkaufleute, Industriemechaniker*innen, Mechatroniker*innen, Industriekaufleute, Elektroniker*innen für Betriebstechnik und Fachinformatiker*innen zu finden. Neu hinzugekommen sind die Steuerfachangestellten (2023 nicht in der Stichprobe) und die Gärtner*innen, die 2023 noch im Mittelfeld platziert waren. Am unteren Ende der Skala befinden sich wie schon im Report von 2023 Verkäufer*innen, Einzelhandelskaufleute, Hotelfachleute, Zahnmedizinische Fachangestellte und Friseur*innen. Aus dem Mittelfeld abgestiegen sind die Medizinischen Fachangestellten, Maler*innen und Lackierer* innen sowie die Anlagenmechaniker*innen. Klar ist: Wenn bei diesen Berufen eine Chance bestehen soll, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen die Arbeitgeber jetzt handeln und die Ausbildungsbedingungen deutlich verbessern.
Schwerpunktthema „Ausbilder*innen“
Ich möchte nun noch auf unser diesjähriges Schwerpunktthema „Ausbilder*innen“ eingehen (S. 14ff). Unsere Befragung bestätigt den Eindruck, dass Ausbilder*innen der Schlüssel sind, um im Betrieb eine qualitativ hochwertige Ausbildung anzubieten und Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. So gibt es eine klare Korrelation zwischen der Zufriedenheit mit der Ausbildung und der Fähigkeit der Ausbilder*innen, die Azubis zu motivieren und sie fachlich anzuleiten.
Der überwiegende Teil der Befragten (90 Prozent) gibt an, formal zugeteilte Ausbilder*innen zu haben, doch bei rund 11 Prozent dieser Auszubildenden sind sie „selten“ bis „nie“ präsent. Für die Azubis bedeutet das, dass sie entweder auf die Unterstützung hilfsbereiter (aber evtl. fachlich nicht geeigneter) Kolleg*innen angewiesen sind oder sich das Wissen selbst aneignen müssen – ohne die Möglichkeit, nachfragen zu können. Es liegt auf der Hand, dass eine qualitativ hochwertige Ausbildung so unmöglich ist.
Von den Auszubildenden, denen Ausbilder*innen zur Verfügung stehen, gaben insgesamt zwei Drittel (67 Prozent) an, dass sie „immer“ oder „häufig“ eine gute Betreuung erhalten. Dagegen haben rund 15 Prozent den Eindruck, dass ihnen die Arbeitsvorgänge eher „selten“
bzw. „nie“ zu ihrer Zufriedenheit erklärt werden. Dabei sind intensives Erklären und sich Zeit nehmen für Nachfragen unerlässliche Kriterien für eine nachhaltige und qualitativ hochwertige Berufsausbildung. Diese Einschätzung wird durch die Ergebnisse des Ausbildungsreports eindrücklich bestätigt. So bewerten rund 93 Prozent der Auszubildenden, die sich immer gut betreut fühlen, die fachliche Qualität der Ausbildung als „sehr gut“ oder „gut“, 88 Prozent von ihnen sind mit ihrer Ausbildung insgesamt „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“.
Um ihre wichtige Aufgabe angemessen erfüllen zu können, müssen Ausbilder*innen also die richtigen Qualifikationen und genügend Zeit haben, um sich für ihre Auszubildenden einsetzen zu können. Dafür müssen Unternehmensleitungen und Politik sorgen.
Download des Ausbildungsreports der DGB-Jugend NRW 2024