Am 1. September hat das neue Ausbildungsjahr begonnen. Vor welchen Herausforderungen der NRW-Ausbildungsmarkt steht und wie sie gelöst werden können, erklärt Anja Weber, Vorsitzende des DGB NRW:
„Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist paradox. Einerseits suchen Unternehmen händeringend nach Auszubildenden, andererseits gibt es viele Jugendliche, die bei der Ausbildungsplatzsuche leer ausgehen. Die Gründe sind vielfältig. Zunächst haben wir in einigen Regionen einen Mangel an Ausbildungsplätzen und deutlich mehr Bewerber*innen als offene Stellen. Nur jeder fünfte Betrieb in NRW bildet überhaupt aus, das ist einfach zu wenig. Andererseits betreiben viele Unternehmen eine Bestenauslese und stellen nur Auszubildende ein, die hundertprozentig ihren Anforderungen entsprechen. Zum Beispiel Jugendliche mit Hauptschulabschluss haben so kaum Chancen, einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Und schließlich finden manche Branchen oder Betriebe keine Azubis, weil sie unattraktive Ausbildungsbedingungen bieten. Wenn das Gehalt gering, die Zahl der Überstunden hoch und der Umgangston rau ist, muss sich ein Arbeitgeber nicht wundern, wenn niemand bei ihm lernen will.
Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass jeder fünfte junge Mensch in Nordrhein-Westfalen ohne Berufsabschluss verbleibt. Auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft Fuß zu fassen und sein Leben eigenständig zu finanzieren, ist für diese Frauen und Männer nur schwer möglich. Sie hangeln sich von Aushilfsjob zu Aushilfsjob oder landen in der Langzeitarbeitslosigkeit. Das ist nicht nur für die Betroffenen selbst ein Problem, sondern auch für unsere Wirtschaft, der es an Fachkräften fehlt und für unsere Gesellschaft, die die Kosten für Arbeitslosen- oder Bürgergeld übernehmen muss.
Um die Situation zu verbessern, brauchen wir eine andere Haltung der Arbeitgeber. Es müssen endlich wieder mehr Betriebe ihrer Verantwortung nachkommen und Ausbildungsplätze anbieten. Zudem müssen sie sich von der Bestenauslese verabschieden und auch Jugendlichen eine faire Chance geben, die zunächst etwas mehr Unterstützung brauchen. Aber auch die Landesregierung kann etwas tun und eine ambitioniertere Ausbildungsmarktpolitik betreiben. Dazu würde zum Beispiel eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie gehören, die Unternehmen, die ausbilden, finanziell entlastet und Unternehmen, die nicht ausbilden, stärker belastet. Und wir müssen endlich an das sogenannte Übergangssystem zwischen Schule und Beruf ran. Jedes Jahr werden zehntausende Schulabgänger*innen, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, an den Berufskollegs geparkt und warten dort auf ihre nächste Chance. Diese ist aber leider nicht für alle Jugendlichen gegeben: Von einzelnen Bildungsgängen im Übergangssystem wissen wir, dass nur einem von zehn Jugendlichen der Sprung in eine Berufsausbildung gelingt. Außerdem müssen wir die Berufsorientierung an den allgemeinbildenden Schulen verbessern. Und schließlich brauchen wir einen flächendeckenden Ausbau der Jugendberufsagenturen als zentrale Anlauf- und Beratungsstellen für alle Ausbildungsinteressierten.“