An­ja We­ber: Wenn bei Job­scen­tern an Qua­li­fi­zie­rung und Be­ra­tung ge­spart wird, kommt uns das teu­er zu ste­hen

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Zur Bertelsmann-Studie, die u.a. Verwaltungskosten von Jobcentern untersucht hat und zum Schluss kommt, dass immer mehr Geld in die Verwaltung statt in die Vermittlung von Arbeitslosen fließt, betont unsere Vorsitzende Anja Weber:

„Die Unterschiede zwischen den Jobcentern beim Anteil der Verwaltungsausgaben sind vor allem Folge der chronischen Unterfinanzierung. Die Jobcenter sind zunehmend gezwungen, Eingliederungsmittel zu den Verwaltungskosten umzuschichten. Das betrifft kleinere Jobcenter in besonderem Maße.  Diese Umschichtung ist kein Ausdruck von Ineffektivität oder falscher Prioritätensetzung, sondern notwendig, um den Betrieb in den Jobcentern aufrecht erhalten zu können. Wichtig zu wissen ist: Mit den Verwaltungskosten wird keine Bürokratie finanziert, sondern Personalkosten und wichtige Kernaufgaben wie Leistungsgewährung, Beratung, Betreuung, Vermittlung und Coaching. Die nächste Bunderegierung muss endlich eine ausreichende Finanzierung der Jobcenter sicherstellen.

Ziel der Arbeit der Jobcenter muss sein, Arbeitslose in dauerhafte und existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Deshalb darf eine höhere Vermittlungsleistung nicht auf Kosten von Qualität und Nachhaltigkeit gehen. Wenn bei Qualifizierung und Beratung gespart wird, um Arbeitslose schneller in Arbeit zu bringen, kommt uns das mittel- und langfristig teuer zu stehen.“

Die Arbeitslosenzahlen steigen. Erwarten Sie in NRW im Winter mehr als 800.000 Arbeitslose?

„Es ist müßig, über Zahlen zu spekulieren. Klar ist aber: Der Strukturwandel in NRW geht aktuell mit einem dramatischen Abbau von Industriearbeitsplätzen einher. Thyssenkrupp und Ford sind nur die Spitze des Eisbergs, jeden Tag hören wir von Betrieben, die gut bezahlte, tariflich abgesicherte Jobs abbauen. Das bedeutet: Viele tausend Menschen in NRW leben in Sorge um ihre Zukunft. Trotz Fachkräftemangels fehlt ihnen – und ihren Familien – die Sicherheit, in den nächsten Monaten und Jahren einer guten und tariflich bezahlte Arbeit nachzugehen. Für diese Menschen wird derzeit zu wenig getan, auch von Seiten der Landesregierung. Schlagwörter wie Arbeitsmarktdrehscheiben müssen mit Leitplanken versehen werden und dafür sorgen, dass Menschen, die einen guten Arbeitsplatz verlieren, auch wieder einen guten Arbeitsplatz bekommen. Und die Betriebe müssen bereit sein, diesen Menschen eine faire Chance mit guten Konditionen zu bieten.“

Was erwarten Sie von der Koalition mit Blick auf die Bürgergeldreform?

„Wer beim Bürgergeld sparen will, muss vor allem am Arbeitsmarkt ansetzen: Jede*r fünfte Bürgergeldempfänger*in NRW geht einer Beschäftigung nach und muss trotzdem aufstocken. Mehr Tarifverträge, ein höherer Mindestlohn, eine Reform der Minijobs und die Fortführung und Umsetzung der Qualifizierungsoffensiven würden helfen, damit diese Menschen nicht mehr auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. Viele Frauen sind auf ergänzendes Bürgergeld angewiesen, weil sie wegen fehlender Kindebetreuung und starren Arbeitszeitmodellen in Unternehmen lediglich in Teilzeit oder Minijobs arbeiten können. Hier muss die Bundesregierung ran.

Gleichzeitig muss die Unterfinanzierung der Jobcenter behoben werden. Die Jobcenter sind derzeit kaum in der Lage, Bürgergeldempfänger*innen durch Beratungen und Maßnahmen angemessen zu unterstützen und sie in dauerhafte und existenzsichernde Arbeit zu vermitteln. Und wir erwarten, dass endlich Schluss ist mit der Stigmatisierung von Bürgergeldempfänger*innen. Den allermeisten fehlt nicht der nötige Wille zu arbeiten, sondern eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt.“

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