Gründe für diese Entwicklung sieht er vor allem in einer zunehmenden Tarifflucht von Arbeitgebern, der Ausschreibungspraxis der Öffentlichen Hand und den Hartz-Reformen, die dazu beigetragen haben, dass Langzeitarbeitslose durch verschärfte Zumutbarkeitsregelungen gezwungen werden, Niedriglohnjobs anzunehmen. Aber auch der zunehmende Kostendruck durch steigende Gewerbemieten und Mietnebenkosten gehe häufig zu Lasten der Arbeitsbedingungen. Gleiches gelte für Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Steuersysteme, von denen nur global agierende Unternehmen, wie Amazon profitieren.
Jörg Mährle: „Der eigentliche Skandal ist nicht die hohe Niedriglohnquote, sondern der offensichtlich fehlende politische Wille, konsequent dagegen vorzugehen. Wir brauchen eine Allianz der Willigen in Politik und Wirtschaft, um die schwarzen Schafe in den Branchen zurückzudrängen, beispielsweise durch vereinfachte Verfahren, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Die Öffentliche Hand muss durch ihre Ausschreibungs- und Vergabepraxis ausnahmslos auf die Einhaltung von Tarifverträgen achten. Tariftreue und gute Arbeitsbedingungen dürfen kein Wettbewerbsnachteil sein. Wir brauchen einen armutsfesten Mindestlohn: Auch Menschen mit geringen Qualifikationen und einfachen Tätigkeiten haben ein Recht darauf, dass sie von einer Vollzeitstelle eigenständig leben können! Die Zumutbarkeitsregelungen für Langzeitarbeitslose müssen dringend reformiert werden. Und die wettbewerbsverzerrenden Steuerschlupflöcher für international agierende Konzerne wie Amazon, IKEA oder Apple gehören dringend geschlossen.“
Ein Problem sieht der DGB-Geschäftsführer aber auch darin, dass sich Beschäftigte mit Niedriglöhnen selten wehren: „Wer einen Niedriglohn erhält, der kriegt jeden Monat auf dem Gehaltszettel bestätigt, dass die geleistete Arbeit nicht von Belang ist. Das diszipliniert ungemein! Die Angst, auch das Wenige zu verlieren, ist nach meinen Erfahrungen sehr groß.“ Gerade die Beschäftigten in den Niedriglohnbranchen hätten daher häufig Angst, ihre Rechte einzufordern, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen, Betriebsräte zu gründen oder sich für die Einführung eines Tarifvertrages einzusetzen. „Das wird sich nur ändern, wenn der Gesetzgeber endlich die lange bekannten Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt beseitigt“, so Jörg Mährle.