„Das Recht, sich unter freiem Himmel friedlich zu versammeln, ist vom Grundgesetz geschützt. Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit sind tragende Säulen einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft.
Mit der Föderalismusreform 2006 haben Bund und Länder sich darauf verständigt, dass das Versammlungswesen in den Kompetenzbereich der Länder übergeht. Das bedeutet aber nicht, dass die Bundesländer das vom Grundgesetz geschützte Versammlungsrecht einschränken dürfen. Es gilt: Das Grundgesetz geht immer vor!
Die Landesregierung hat sich mit der Umsetzung der Föderalismusreform im Vergleich zu anderen Bundesländern viel Zeit gelassen. Dabei zeigt sich, dass mehr Zeit nicht zwangsläufig zu guten Gesetzen führt. Der Entwurf der Landesregierung ist an einigen Stellen unnötig kompliziert und bürokratisch und erschwert damit die Durchführung von Versammlungen. Wenn bereits zur Anmeldung einer Versammlung Ordner*innen benannt werden müssen oder Samstage, Sonn- und Feiertage bei der Anmeldefrist nicht berücksichtigt werden, entstehen vermeidbare Hemmnisse. Das festigt den Eindruck, dass die Durchführung von Versammlungen durch das Gesetz erschwert werden sollen.
In einer ausführlichen Stellungnahme hat der DGB NRW zudem deutlich gemacht, dass es dem Gesetzentwurf der Landesregierung an einigen Stellen an der notwendigen Klarheit fehlt – für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Polizei, die die Versammlungen schützen und die öffentliche Ordnung aufrechterhalten muss.
Das gilt zum Beispiel für das Störungsverbot in Paragraf 7. In der vorgesehenen Fassung können darunter auch zulässige Meinungsäußerungen fallen und nicht nur Handlungen, die darauf abzielen, Versammlungen erheblich zu behindern oder zu vereiteln. Konträre Meinungsäußerungen und friedlicher Gegenprotest, der kommunikativen Zwecken dient, müssen weiterhin möglich sein.
Ein weiteres Beispiel ist das in Paragraf 13 beschriebene Kooperationsgebot. Es ist zu unklar gefasst. Natürlich ist es richtig, dass Veranstalter und Ordnungsbehörden kooperieren. Allerdings gehören zu einem ausgewogenen Kooperationsgebot auch die Beschreibung der Aufgaben der Behörden zur Wahrung der Versammlungsfreiheit sowie ihr Hinwirken auf eine friedliche Versammlung. Ein solches Deeskalationsgebot fehlt.
Für uns gilt: Gerade eine Landesregierung, die das Thema Bürokratieabbau wie ein Mantra vorbetet, sollte Gesetze so verfassen, dass ihre Auslegung nicht ständig von Gerichten überprüft werden muss. Beim geplanten Versammlungsgesetz kann sich wiederholen, was wir schon seit der Novellierung des Ladenöffnungsgesetzes NRW erleben: Eine Prozessflut, die eindeutig auf ein schlecht formuliertes Gesetz zurückzuführen ist.
Neben der Kritik gibt es aber auch einen wichtigen Lichtblick im Entwurf: Symbolträchtige Orte und Tage zum Gedenken an die Gräuel des Nationalsozialismus sollen künftig von der missbräuchlichen Nutzung durch Neonazis und Rechtspopulisten geschützt werden. Das ist dringend notwendig. Aber auch hier sehen wir erheblichen Nachbesserungsbedarf.
Wir brauchen ein Gesetz, das die Versammlungsfreiheit schützt, das praxis- und alltagstauglich von Laien leicht anzuwenden ist und klare Spielregeln enthält. Wenn die Landesregierung diese Anforderungen mit Blick auf die offensichtlich unterschiedlichen Vorstellungen von CDU und FDP sowie die notwendige personelle Neuaufstellung nach dem Weggang von Laschet nicht hinbekommt, sollte sie die Beratungen aussetzen. Im Mai 2022 findet die nächste Landtagswahl statt - mit der Option auf eine klare Mehrheit für ein progressives Versammlungsgesetz.“