„Köln stellt sich quer“ kritisiert Gesetzentwurf der Landesregierung zum Versammlungsrecht

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„Für uns als Bündnis ist die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut als gelebte Demokratie in unserem Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus und gegen alle Angriffe von rechtspopulistischen und rechtextremen Gruppierungen und Parteien auf die Demokratie“, betont Joanna Peprah.

Eine Koalition, die sich in sozialen und wirtschaftlichen Fragen einer Entfesselung und Entbürokratisierung verschrieben hat, ist gefordert, dem grundlegenden Verfassungsrecht der Versammlungsfreiheit keine Fesseln anzulegen“, erklärt Dr. Witich Roßmann.

Kritisiert wird u.a. das sog. Störungsverbot. „Die Ausweitung des Störungsbegriffs auf die Vor­bereitung gewaltfreien Widerstands, wie z.B. Blockadetrainings verstößt nicht nur gegen entsprechende Grundsatzurteile, sondern auch gegen ein lange Geschichte gewaltfreien Widerstands von Mahatma Gandhi, der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King bis hin zu den Sitzblockaden von Heinrich Böll und seiner Familie, in deren Tradition wir uns als Bündnis sehen“, sagt Jörg Detjen.

Unter rechtlichen Gesichtspunkten ist die vorgesehene Offenlegung von Namen und Adressen der Ordner:innen nicht zumutbar, da das Recht der Versammlungsteilnehmer:innen, die sich als Ordner:innen zur Verfügung stellen, an einer erlaubten und gewaltfreien Versammlung ano­nym teilzunehmen, nicht mehr gewährleistet ist, kritisiert Brigitta von Bülow.

Reiner Hammelrath wendet sich dagegen, dass unangemessen viele Tatbestände als Straftat und nicht als Ordnungswidrigkeit klassifiziert werden, was den repressiven Charakter des Gesetzentwurfs deutlich macht.

Das Bündnis begrüßt deshalb Initiativen, die sich friedlich und gewaltfrei für die Entfesselung des Entwurfs des NRW-Versammlungsgesetzes engagieren.

STELLUNGNAHME

zum Entwurf NRW-Versammlungsgesetz

Der Artikel 8 lautet seit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 wie folgt:

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Mit dem Artikel 8 räumt unser Grundgesetz der Versammlungsfreiheit in engem Zu­sammenhang mit Artikel 5 (Meinungsfreiheit) einen hohen Ver­fas­sungsrang ein. Der Brokdorf-Beschluss des Bun­desver­fassungsgerichts von 1985 ist die wichtigste Interpretation des Grundrechts der Ver­sammlungs­frei­heit. Für das Gericht sind Demonstrationen ein „Stück ursprünglich-unge­bän­dig­ter un­mittel­ba­rer Demokratie“.

Mit Sorge sehen wir, dass die Konkretisierung des Versammlungsrechts im Ge­setzentwurf der NRW Landesregierung in zahlreichen Punkten bürokratisch reglementiert und unangemessen einschränkt. Es folgt damit eher einer auto­ri­tär einschränkenden Form, wie dies im Bayrischen Versammlungsgesetz der Fall ist und nicht einer liberalen Form, die die Versammlungsgesetze der Bun­des­länder Berlin, Niedersachsen und Schleswig-Holstein prägen.

Für uns als Bündnis „Köln stellt sich quer“ ist die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut als gelebte Demokratie in unserem Engagement gegen Rassismus, Diskriminierung, Antisemitismus und alle Angriffe durch rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen und Parteien auf die Ausgestaltung der Bun­des­republik Deutschland als „demokratischen und sozialen Rechtsstaat“.

Weil der vorliegende Gesetzentwurf spontanen wie organisierten Ver­sam­mlun­gen in der Vor­be­reitung und Durchführung unnötigen bürokratischen Hürden unterwirft und mit vagen Be­stimmungen Teilnehmer:innen wie Orga­ni­sa­tor:innen verunsichert, erschwert sie die Ver­sammlungs­freiheit statt ihr einen liberalen, rechtlich verbindlichen Schutzrahmen zu geben.

Kritisch sehen wir dabei insbesondere

§ 7 (1) Störungsverbot und die Konkretisierung in § 7(2): Mit den vagen Be­grif­fen „stören“ und „behindern“ können nahezu alle Formen friedlicher Gegen­­demonstrationen eine Auflösung einer Versammlung le­gi­ti­mie­ren. Ausdrücklich wird auf den Begriff einer „erheblichen“ Störung verzichtet. Die Ausweitung des Störungsbegriffs auf die Vor­bereitung gewaltfreien Wider­stands, wie z.B. Blockadetrainings, verstößt nicht nur gegen ent­sprechende Grundsatzurteile (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.9.2021 – 5 A 1701/11), sondern auch gegen eine lange Geschichte gewaltfreien Widerstands von Mahatma Gandhi, der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King bis hin zu Sitzblockaden der Familie Heinrich Böll, in deren Tradition wir uns als KSSQ sehen.

§ 10 Anzeige: Die Anmeldefrist von mindestens 48 Stunden, die sich durch Wochenend- und Feiertage noch ver­­­längert, ist deutlich zu hoch für das Recht auf kurzfristige Versammlungen, auch wenn spontane Versammlungen aus aktuellen Anlass ausdrücklich ausgenommen werden.

§ 12 Behördliche Ablehnungsrechte: Die Eignung von Personen zur Ver­sammlungs­leitung sollte im Ver­ant­wor­tungsbereich der Ver­anstalter bleiben. Der Ablehnungsgrund bleibt vage und im weitesten Sinne im Ermessen der Be­hörde. Unter praktischen wie rechtlichen Gesichtspunkten unzumutbar ist die „Offen­le­gung von Namen und Adressen von Ordnern“. Diese Beschränkung der Ano­ny­mi­tät derjenigen Versammlungs­teiln­ehmer:innen, die sich als Ordner:innen zur Verfügung stellen, schränkt für viele potentielle Teilnehmer die Ver­sammlungsfreiheit ein. Praktisch ist das bei der häufig auch kurzfristigen Ver­änderung der Ordner:innen (Anreiseprobleme, Wechsel und Rotation im Ver­sammlungsverlauf etc.) zudem ein unangemessen hoher Aufwand für die Ver­anstalter:innen. Bei tatsächlich „unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ bietet § 13 ausreichend Handlungsmöglichkeiten. Eine Beschränkung, Verbot oder Auflösung auch von Ver­sammlungen (Gegenversammlungen), „von der die Gefahr nicht ausgeht“ § 13 (3) darf nur als „Ultima Ratio“ formuliert werden.

§ 14 Ausschluss von Personen und § 15 Kontrollstellen stellen eine Vorverlagerung der Beschränkung der Versammlungsteilnahme dar. Insbesondere Kontrollstellen zur Identitätserfassung von Personen und ihrer Durchsuchung stellen eindeutig das Recht, an einer erlaubten und friedlichen Versammlung anonym teilzunehmen evident in Frage. Dies lehnen wir ebenso ab wie den einseitigen Personenausschluss durch die Behörden ohne Abstimmung mit der Versammlungsleitung.

§ 16: An das zulässige Recht von Übersichtsaufnahmen werden viel zu unklare rechtsstaatliche An­for­de­rungen gestellt. Der Datenschutz erfordert zudem viel kürzere Fristen für die Aufbewahrung und Lösung solcher Aufnahmen.

§ 17 Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot: Auch hier sind die Verbote zu unbestimmt und lassen hohe Inter­pre­tations­spielräume, die auch Burkas, Fanschals und Halstücher erfassen können. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung gibt den Behörden nicht die Befugnis, alle Formen vermummter Teilnahme zu verbieten bzw. zu sanktionieren.

§ 18 Uniform- und Militanz Verbot: Wir begrüßen das Uniform- und Militanz Verbot nur insoweit es den Fried­lich­keits­vorbehalt einer Versammlung dient. Es wird vage, wenn dem para­mili­tärischen Auftreten ein „vergleichbares Auftreten“ hinzugefügt wird und das Versammlungsrecht auf „sonstige Veranstaltungen“ (wie z.B. Fußballspiele) ausgedehnt wird.

§ 27 (2) Straftaten: Angesichts des hohen Verfassungsrangs der Versammlungsfreiheit werden un­an­gemessen viele Tatbestände (§ 27 Absätze 1, 2, 3, 7, 8) als Straftat klassifiziert und nicht als Ordnungswidrigkeit be­stimmt. Zudem ist das Strafmaß bei § 27 Abs.5 und 6 mit zwei Jahren Freiheitsstrafe un­an­ge­mes­sen hoch. Unakzeptabel ist zudem die „Verursachung grober Störungen“ § 27 Abs.4 als Straf­tat. Der Straftatenkatalog unterstreicht noch einmal deutlich den repressiven, einschränkenden Charakter des Gesetzentwurfes, der vielfältige Einfallstore für eine „Kriminalisierung“ der Ver­an­stal­ter:innen wie Teilnehmer:innen von Ver­sammlungen bietet.

Das Versammlungsrecht sollte grundlegend der Gewährleistung des Grund­rechts, nicht seiner Ein­schränkung dienen, die ausführenden Behörden sollten als Kooperationspartner der Ver­an­stalter:innen und Teilnehmer:innen und als Dienstleister für die Inanspruchnahme eines Grund­rechts definiert und verstanden werden.

In diesem Sinne fordern wir die demokratischen Parteien im Rat der Stadt Köln und im Landtag  NRW auf, sich für eine durchgreifende Liberalisierung des Gesetzentwurfs einzusetzen. Eine Koalition, die sich in sozialen und wirt­schaft­lichen Fragen einer „Entfesselung“ und „Ent­büro­kra­tisierung“ verschrieben hat, ist gefordert, dem grundlegenden Verfassungsrecht der Ver­sammlungsfreiheit keine Fesseln anzulegen.

In diesem Sinne unterstützt das Bündnis KSSQ alle Initiativen, Versammlungen und Kund­ge­bungen, die sich friedlich und gewaltfrei für die „Entfesselung des Entwurfs des NRW Ver­sammlungs­gesetzes“ engagieren.

Köln, 11.06.2021

Sprecher:innenkreis von „Köln stellt sich quer“

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