Nachgefragt: Betriebsrat: Hast Du keinen, wähl Dir einen!

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Frage: Nur knapp die Hälfte aller Beschäftigten haben einen Betriebsrat. Warum?

Jörg Mährle: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Rund 15 Prozent aller Beschäftigten arbeiten in Kleinstbetrieben. Um einen Betriebsrat zu gründen, müssen aber mindestens 5 Arbeitnehmer*innen in einem Betrieb beschäftigt sein. Mit anderen Worten: Bei einem Teil der Betriebe fehlen einfach die Voraussetzungen.

Frage: Das erklärt aber nicht, warum es auch in größeren Betrieben nicht überall Betriebsräte gibt.

Jörg Mährle: Richtig! Aus meiner Erfahrung gibt es dafür vier Gründe:

  1. Es gibt Arbeitnehmer*innen, die sich mit dem Thema Betriebsrat noch nicht beschäftigt und deswegen auch noch keine Gründung angestoßen haben.
  2. Dann gibt es die Arbeitnehmer*innen, die der Meinung sind, dass sie keinen Betriebsrat brauchen.
  3. Weiter gibt es Arbeitnehmer*innen, die kaum Kontakt zu ihren Kolleg*innen haben, weil sie an unterschiedlichen und wechselnden Einsatzorten arbeiten – Beispiel Reinigungsgewerbe. Das erschwert die notwendige Kommunikation vor einer Gründung.
  4. Und dann gibt es die Gruppe, die aus Angst vor Nachteilen oder gar Angst vor Kündigung das Thema Betriebsratsgründung nicht angeht.

Frage: Angst vor Kündigung, weil man ein Grundrecht wahrnehmen möchte? Gibt es das wirklich noch?

Jörg Mährle: Leider ja! Ich kann mich gut an einen Fall aus der Lebensmittelindustrie aus der Region erinnern. Beratungsgespräche mussten an geheimen Orten stattfinden, weil die Beschäftigten Angst davor hatten, dass ihr Chef – Gründer und Inhaber der Firma sowie als Gewerkschaftsgegner bekannt – Wind von den Aktivitäten bekommt. Das ist kein Einzelfall. Laut Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung aus 2020 versuchen rund 40 Prozent der Arbeitgeber, eine Betriebsratsgründung zu verhindern. Deswegen ist es wichtig, dass sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einen Betriebsrat gründen wollen, kompetente Beratung und rechtliche Unterstützung holen, um ihre Rechte wahrzunehmen.

Gewerkschaftsmitglieder haben es einfach: Sie erhalten Beratung und Rechtsschutz durch ihre Gewerkschaft, so dass Behinderungsversuche in den meisten Fällen scheitern.

Frage: Und was ist mit den Beschäftigten, die meinen, dass sie keinen Betriebsrat benötigen?

Jörg Mährle: Da erinnere ich mich besonders an verschiedene IT-Unternehmen. Die meist jungen Beschäftigten hatten einen Job, der ihnen Spaß machte und ordentliches Geld einbrachte. Sozialleistungen einschließlich Kicker im Sozialraum und kostenloser Pizza gehörten zum Standard. Die Branche boomte. Niemand hatte Angst, arbeitslos zu werden. Der Chef oder die Chefin wurden geduzt. Wofür also einen Betriebsrat? Das änderte sich, als es der Branche schlechter ging. Erst wurde die Pizza gestrichen und dann die Jobs. Doch dann war es fast schon zu spät. Was viele nicht wissen: Um Sozialpläne zu erstellen, braucht man einen Betriebsrat. Betriebsräte müssen auch gehört werden, wenn eine Kündigung ausgesprochen wird.

Ich freue mich immer, wenn Beschäftigte einen tollen Job mit guten Arbeitsbedingungen haben. Die IT-Branche zeigt aber, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schnell verändern können.  Manchmal ist es aber auch ein Wechsel beim Eigentümer oder bei Führungskräften, der zu massiven Veränderungen der Arbeitsbedingungen oder des Betriebsklimas führt. Deswegen macht ein Betriebsrat immer Sinn und nicht nur in der Krise.

Frage: Was ist mit den Beschäftigten mit unterschiedlichen Einsatzorten, die ihre Kolleginnen und Kollegen nicht regelmäßig sehen?

Jörg Mährle: Das ist ein großes Problem im Reinigungsgewerbe, bei Kurierdiensten, in der Logistik oder bei Betrieben mit vielen kleinen Filialen. Wenn sich Kolleg*innen nicht treffen, können sie sich nicht austauschen und erfahren damit auch nicht, ob andere Mitarbeiter*innen ebenfalls den Wunsch nach einem Betriebsrat haben. Hier hilft es, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden, um sich mit Beschäftigten der gleichen Branche auszutauschen und Kontakt zu Gewerkschaftsmitgliedern aus dem eigenen Betrieb, die man bei der Arbeit nie sieht, aufzubauen.

Frage: Wenn ich Deine Antworten richtig verstehe, muss die Initiative zur Gründung eines Betriebsrates immer von den Beschäftigten ausgehen. Stimmt das?

Jörg Mährle: Ja! Gewerkschaften sind keine Aufsichtsbehörde. Gewerkschaftsmitarbeiter*innen können nicht einfach ein Betriebsgelände oder eine Arbeitsstätte betreten. Das dürfen sie nur unter bestimmten Voraussetzungen, wenn sie z.B. Gewerkschaftsmitglieder bei der Gründung eines Betriebsrates oder bestehende Betriebsräte bei ihrer Arbeit unterstützen. Ansonsten liegt das Hausrecht beim Arbeitgeber.

Außerdem macht es keinen Sinn, ohne Unterstützung von Beschäftigten einen Betriebsrat zu gründen. Voraussetzung ist, dass Mitarbeiter*innen bereit sind, im Betriebsrat mitzuarbeiten. Voraussetzung ist aber auch, dass möglichst viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen.

Wichtig für alle, die einen Betriebsrat gründen wollen: Eine Neugründung ist jederzeit möglich.


Ansprechpartner: Jörg Mährle, Joerg.Maehrle@DGB.de, 0221-500032-0


Hinweis: In der Reihe „Nachgefragt“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen ausführliche Stellungnahmen und Positionen von gewerkschaftlichen Expert*innen aus der Region Köln-Bonn. „Nachgefragt“ bietet nicht nur ausführliche Hintergrundinformationen, sondern spiegelt immer auch die persönliche Sichtweise der jeweiligen Expert*innen wider. Die Texte können für Medienberichterstattungen genutzt werden. Weitere Veröffentlichungen aus der Reihe „Nachgefragt“ finden Sie auf unserer Internetseite www.koeln-bonn.dgb.de/nachgefragt. Dort können Sie „Nachgefragt“ auch als RSS-Feed abonnieren.

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