„Wir brauchen endlich eine angemessene Ausstattung der Kommunen!“

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Dachzeile Nachgefragt mit Bernd Weede

 

Bernd, du bist Vorsitzender des DGB Bonn/Rhein-Sieg, sitzt aber auch im Rat der Stadt Bonn und hast somit einen guten Einblick in die Haushaltslage der Stadt Bonn. Wie ist die Stadt aufgestellt?

Bernd Weede: Ich denke, jeder hat in diesem Jahr das Ringen um den Doppelhaushalt hier in Bonn mitbekommen. Der Haushalt wird im Jahr 2023 voraussichtlich mit einem Defizit von 42 Millionen Euro abschließen, im Jahr 2024 mit einem Minus von rund 43 Millionen Euro. Das ist die Situation und damit müssen wir nun umgehen.
Die Folge ist nun, dass ab dem Jahr 2024 die Gewerbesteuer von derzeit 490 auf 537 Punkte angehoben wird. Außerdem steigt die Beherbergungssteuer um einen Prozentpunkt und wird auch auf Geschäftsreisende ausgeweitet. Außerdem ist eine Erhöhung der Zweitwohnsitzsteuer von 12 auf 13 Prozent der jährlichen Netto-Kaltmiete vorgesehen. Nur so kriegen wir einen ausgeglichenen Haushalt hin.

Was ist aus deiner Sicht zu tun, um die Lage langfristig zu entspannen?

Bernd Weede: Problematisch ist ja nicht nur die Haushaltslage, sondern die gesamte Situation in den Kommunen, auch hier in Bonn. Wir haben ein Kitasystem, das uns um die Ohren fliegt und es gibt marode Schulen, die besser heute als morgen eine bessere Ausstattung und Modernisierung bräuchten. Außerdem stecken wir mitten in der dringend nötigen Verkehrswende: ÖPNV, Straßenbau, Fahrradwege - das sind alles kommunale Aufgaben, die viel Geld kosten.
Wir haben auch noch die Bereiche, die die Kommunen sowieso verantworten wie Krankenhäuser, die Gesundheits- und Ordnungsämter, Theater, Museen, Sportstätten und Schwimmbäder, Bibliotheken, Spielplätze, Grünanlagen und Friedhöfe. Die Liste ist lang und die Herausforderungen vor denen Kommunen stehen, sind um ein Vielfaches gewachsen.
Kommunen müssten massiv in Wohnungen und Infrastruktur investieren, damit sie auch als Wirtschaftsregion attraktiv bleiben. Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Lage würde sich entspannen, wenn die Aufgaben, die Kommunen haben, mit ausreichend Finanzen hinterlegt wären. Kommunen können ja zum Teil nicht mal ihre Pflichtaufgaben angemessen erfüllen.

Was bedeutet Pflichtaufgaben und „kommunale Selbstverwaltung“ eigentlich?

Bernd Weede: Im Grundgesetz ist im Artikel 28 (2) festgeschrieben: „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“
Das bedeutet, dass Kommunen in bestimmten öffentlichen Aufgabenbereichen freie Hand haben. Man geht davon aus, dass die öffentlichen Aufgaben am besten von den Menschen vor Ort organisiert werden können, da sie die Bedürfnisse besser kennen. In den Bereichen Sport und Kultur beispielsweise haben die Kommunen sehr freie Hand.

Pflichtaufgaben hingegen sind die Aufgaben, die den Kommunen von Bund und Ländern übertragen werden und bei denen sie nicht entscheiden können, ob, sondern nur wie sie diese Aufgabe erfüllen. Das sind vor Allem die Aufgaben der Daseinsfürsorge. Das beginnt bei den Hilfen zum Lebensunterhalt, der Ver- und Entsorgung mit Wasser und Elektrizität, der Ausstattung von Schulen und Kitas, bis hin zum Straßenbau und Müllabfuhr.

Wie finanzieren die Kommunen sich denn bisher?

Bernd Weede: Artikel 28 des Grundgesetzes schreibt die finanzielle Eigenverantwortung der Kommunen fest. Diese Eigenverantwortung betrifft vor allem die Gewerbe- und die Grundsteuer. Die Gewerbesteuer besteuert die Einkünfte von Unternehmen. Sie wird direkt und vollständig an die Kommune gezahlt. Die Grundsteuer müssen Menschen mit Eigentum von Grundstücken und Gebäuden an die Kommunen zahlen. Die Höhe beider Steuern bestimmen die Kommunen selbst. Hinzu kommen Anteile an Gemeinschaftssteuern wie der Einkommensteuer. Ganz zum Schluss kommen noch die Gebühren hinzu, die für einzelne Dienstleistungen zu entrichten sind.

Die Kommunen erhalten außerdem Zuweisungen des Bundes und der Bundesländer. Über das Verfahren des kommunalen Finanzausgleichs soll sichergestellt werden, dass auch Kommunen mit geringen Einnahmen eine Daseinsvorsorge bereitstellen und ihre Pflichtaufgaben erfüllen können. Wieviel das ist, entscheidet jedes Bundesland selbst. In Krisensituationen kommt es vor, dass Bund und Länder den Kommunen unter die Arme greifen, z.B. haben sie die Gewerbesteuerausfälle während der Corona-Pandemie ausgeglichen. Aber schon vor Corona war fast jede fünfte Kommune überschuldet.

Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass z.B. die vollkommen aus dem Ufer laufenden Mieten, der Billiglohnsektor und eine sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit die kommunalen Ausgaben in die Höhe treiben.

Was schlägst du vor? Was ist zu tun?

Bernd Weede: Einige Bundesländer helfen ihren Kommunen mit Entschuldungsprogrammen. Das ist aber nicht genug, weil wir nicht nur die Altschulden tilgen, sondern auch dringend investieren müssen. Wir wollen das unsere Stadt ein attraktiver Lebensraum bleibt, damit er beliebt ist für Arbeitnehmende, Familien und Unternehmen.
Vorschläge, wie wir die Kommunen entlasten können, haben Gewerkschaften schon vor Jahren gemacht.
Wir fordern zum Beispiel eine solidarische Entschuldung. Die Länder sollen zu einem bestimmten Stichtag kommunale Liquiditätskredite übernehmen. Bund und Länder begleichen dann die übernommenen Altschulden paritätisch.

Das klingt nachvollziehbar, aber wie soll verhindert werden, dass anschließend wieder neue Schulden entstehen? Stehen wir dann nicht nach ein paar Jahren vor der gleichen Situation?

Bernd Weede: Um das zu verhindern, brauchen wir eine Reform der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer, damit alle, die von der kommunalen Infrastruktur profitieren sich auch an den Kosten beteiligen. Damit würde eine stabile Einnahmebasis geschaffen. Im DGB-Steuerkonzept finden sich dazu Details.
Und schlussendlich ist es wichtig, dass Bund und Ländern jedes Mal, wenn sie Aufgaben an die Kommunen verteilen diese mit einer Finanzierung untermauern. Ein echtes Konnexitätsprinzip wird helfen, um nicht wieder in eine Situation wie jetzt zu gelangen.

Auch unabhängig von der Finanzausstattung der Kommunen besteht in Deutschland steuerlich ein großes Ungleichgewicht: Das Steuersystem begünstigt hohe Einkommen, Unternehmensgewinne und große Vermögen. Gerade Menschen, die über viel Geld verfügen, zahlen im Verhältnis weniger in die öffentlichen Kassen als mittlere und kleine Einkommen. Gerade das Steuersystem ist ein wichtiger Baustein für eine gerechtere Gesellschaft. Nach dem Steuerkonzept des DGB müssten 95 Prozent der Steuerpflichtigen weniger zahlen und nur Spitzenverdienende mehr. Denn so wird die Einnahmebasis des Staates gestärkt – insgesamt um 60 Milliarden Euro – und die öffentliche Hand gewinnt mehr Handlungsspielraum. Wenn wir da ansetzen, helfen wir den Kommunen.

Deutschland will klimaneutral werden. Unsere Daseinsvorsorge muss klimafreundlich werden. Wie soll das funktionieren?

Bernd Weede: Das war auch beim Ringen um den Bonner Haushalt eine zentrale Frage. Wo setzen wir die Priorität? Was wiegt mehr? Klimaschutz oder soziale Faktoren? Ich persönlich finde, dass wir uns bei beiden Punkten keine Abstriche erlauben dürfen und habe mich in diesem ganzen Entscheidungsprozess sehr unwohl gefühlt. Wir brauchen beides gleichermaßen! In einem komplexen gesellschaftlichen Wandel darf die soziale Frage nicht in den Hintergrund rücken. Ein gutes Beispiel wie sehr die Dinge ineinander greifen sind die Schülertickets. Bonn hat den Preis für die Tickets vereinheitlicht und auf alle Schultypen ausgeweitet. Das ist ein Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit. Der nächste Schritt muss nun die freie Fahrt in den Ferien sein.

Die Gewerkschaften fordern eine neue sogenannte Gemeinschaftsaufgabe für Klimaschutz und Klimaanpassung auf kommunaler Ebene. Diese Aufgaben müssen dann Bund und Länder finanziell unterstützen. Dafür müssen wir das Grundgesetz ändern. Aus meiner Erfahrung aus dem letzten Jahr ist das ein sehr wichtiger Impuls.

Was muss passieren, damit die Frage der Finanzausstattung der Kommunen endlich ernsthaft auf die Agenda kommt?

Bernd Weede: Ich denke, dass wir in den Kommunen lauter werden müssen, und zwar abseits der parteipolitischen Zugehörigkeit. Nur wenn Kommunalpolitik deutlich macht, wie dringlich das Ganze ist und was es auch bereits für Folgen in den Kommunen hat, nur dann werden wir Gehör finden. Ich begrüße ausdrücklich, dass der Städtetag NRW immer lauter wird. Wir müssen es an unsere Bundes- und Landtagsabgeordneten adressieren und überall auf die Agenda schieben. Wir als Gewerkschaften werden das Thema jedenfalls weiterhin oben halten, denn es entscheidet mit über die Zukunft unserer Stadt und damit über unser direktes Lebensumfeld.

DGB-Steuerkonzept: https://www.dgb.de/-/0Fe
Kommunen mit Zukunft: https://www.dgb.de/-/bpR 


Hinweis: In der Reihe „Nachgefragt“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen ausführliche Stellungnahmen und Positionen von gewerkschaftlichen Expert*innen aus der Region Köln-Bonn. „Nachgefragt“ bietet nicht nur ausführliche Hintergrundinformationen, sondern spiegelt immer auch die persönliche Sichtweise der jeweiligen Expert*innen wider. Die Texte können für Medienberichterstattungen genutzt werden. Weitere Veröffentlichungen aus der Reihe „Nachgefragt“ finden Sie auf unserer Internetseite www.koeln-bonn.dgb.de/nachgefragt. Dort können Sie „Nachgefragt“ auch als RSS-Feed abonnieren.

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